Stellungnahme zu den Gesetzentwürfen der Bundesregierung zu den geplanten Gas- und Strompreisbremsen vom 25.11.2022
Bündnis faire Energiewende
01. Dezember 2022
Wichtigste Punkte - Zusammengefasst zur Gas- und zur Strompreisbremse
- Strom- und Gaspreisbremsen sind von vielen Unternehmen dringend benötigte und zeitlich begrenzte Krisenhilfen! Die hochkomplexen Gesetzesentwürfe stehen zu diesem Zweck im vollständigen Widerspruch.
- Die Einführung neuer Prüfverfahren mit absoluten und relativen Deckeln, kurzen Antragsfristen, Mitteilungspflichten, neuen Begrifflichkeiten und anderen komplexen Regelungen birgt eine Fülle an neuer Bürokratie. Insbesondere für mittelständische Unternehmen wird es deshalb formell und materiell deutlich erschwert, wenn nicht unmöglich, von den Entlastungen zu profitieren.
- Es fehlt ein Wahlrecht für eine geringere Entlastungssumme und damit verbunden geringere Anforderungen an Nachweise. Ebenso fehlt ein Wahlrecht der Unternehmen für einen vollständigen Verzicht auf die Entlastungen.
- Die Unternehmen bekommen keine Rechts- und Planungssicherheit, da die Gefahr einer Rückforderung der Beihilfen droht. Der Rückforderungsvorbehalt ist deshalb zu streichen, mindestens aber zu spezifizieren.
- Die geplante Definition zur Energieintensität hilft vielen Unternehmen nicht, da sich diese auf die Energieintensität im Jahr 2021 und im ersten Halbjahr 2022 bezieht. Die stärksten Kostensteigerungen entstanden aber erst nach Kriegsbeginn und kommen in vielen Fällen erst in 2023 an.
- Die Einführung einer notwendigen und sinnvollen Härtefallregelung für atypische Einzelfälle wird in der Gesetzesbegründung zwar angedeutet, muss aber dringend umgesetzt werden.
Konkrete Punkte - Zusammengefasst zur Gas- und zur Strompreisbremse
1. Die Gesetzesentwürfe müssen jetzt kurzfristig in Kraft treten – unabhängig davon sollte der EU-Krisenbeihilferahmen in folgenden Punkten nachverhandelt und erreichte Spielräume dann später im Gesetz nachgebessert werden
- Entlastungsbeträge müssen so hoch sein, dass sie den Unternehmen wirklich helfen
Zunächst erfolgt die Beschränkung der Entlastungskontingente auf 70% oder 80% gemessen am historischen Energieverbrauch. Danach erfolgen weitere Reduzierungen durch die absoluten und relativen Höchstgrenzen für die konkrete Entlastungssumme in Euro. Die gewählten Höchstgrenzen des TCF sind jedoch nicht erkenntnisbasiert und auch sind künftige EBITDAs – etwa für 2023 – nicht vorhersagbar. Im Ergebnis werden viele Unternehmen nur eine Entlastung von 20% bis 30% ihrer Mehrbelastungen erhalten. - Auf Branchenlisten im EU-Krisenbeihilferahmen verzichten
Auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Wirtschaftszweig als Voraussetzung für eine Entlastung sollte verzichtet werden. Es ist häufig dem Zufall und dem Vorliegen oder Nicht-Vorliegen von Daten überlassen, ob bestimmte Branchen es auf die Liste der entlastungsberechtigten Sektoren schaffen oder nicht. - Geforderte Energieintensität muss die aktuellen Preissteigerungen mitberücksichtigen
Nach der aktuellen Definition muss ein Unternehmen bereits im Kalenderjahr 2021 Energiebeschaffungskosten von mindestens 3 % des Produktionswertes/Umsatzes gehabt haben oder im ersten Halbjahr 2022 mindestens 6 %. Preisexplosionen, wie sie bei vielen Unternehmen erst ab der Jahresmitte 2022 und ab dem 1. Januar 2023 ankommen, werden nicht berücksichtigt. Viele Unternehmen erreichen die Energieintensitätsschwellen erst zu diesen Zeitpunkten, werden aufgrund der Referenzzeiträume aber nicht als energieintensiv eingestuft. - Auf Betriebsverluste, Gewinnrückgang oder Gewinnbegrenzung als Voraussetzung für die Beihilfe muss gänzlich verzichtet werden.
Unabhängig von den prozentualen oder monetären Förderhöhen gehen Größenvorgaben für das EBITDA an der Realität mittelständischer Unternehmen vollständig vorbei. Gerade renditeschwache Branchen, die Preisnehmer sind, haben kaum Einfluss auf ihr EBITDA, so dass es von zu vielen unplanbaren Faktoren abhängt, ob die im TCF vorgesehenen Schwellenwerte eingehalten werden können oder nicht. Weiter fehlt jeder Beleg dafür, dass die angegebenen Schwellenwerte geeignet sind, die Förderwürdigkeit eines Unternehmens zu begründen. Die Unternehmen sollten sich zudem nicht erst in die Gefahr einer Insolvenz begeben müssen, um die notwendige Beihilfe zu erhalten.
2. Wahlrecht für geringere Entlastungssumme schaffen und damit verbunden geringere Anforderungen an Nachweise gewähren
In § 9 Strompreisbremsegesetz (StromPBG) und in § 18 Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz (EWPBG) sind verschiedene Höchstgrenzen für die Entlastungssummen genannt. Je nach Entlastungshöhe muss die Beihilfeintensität in Prozent, die Betroffenheit von den hohen Energiepreisen, die Energieintensität, die Branchenzugehörigkeit und der Rückgang beim EBITDA nachgewiesen und durch eine Prüfbehörde festgestellt werden. Je höher die Entlastungssumme, desto höher grundsätzlich die Anforderungen.
Empfehlung: Wir fordern die Einführung der Möglichkeit, dass Unternehmen, die eigentlich berechtigt wären, höhere Entlastungssummen in Anspruch zu nehmen, auch die geringeren Höchstgrenzen in Anspruch nehmen können und somit freiwillig auf ihnen zustehende Entlastungsbeträge verzichten. Damit verbunden müssen dann auch geringere Anforderungen an die Nachweise sein.
3. Gleichstellung von verbundenen und nicht verbundenen Unternehmen
Es ist nicht nachzuvollziehen, warum einzelne Standorte verbundener Unternehmen, die autark Energie beziehen und den Letztverbraucher darstellen anderes behandelt werden als nicht verbundene Unternehmen. Ein Beispiel dokumentiert das Problem: Ein verbundenes Unternehmen mit 10 Standorten würde bei einem maximalen Gesamtentlastungsbetrag von 2 bis 4 Mio. Euro eine Entlastung von 200.000 bis 400.000 Euro pro Standort erhalten, ein nicht verbundenes maximal 2 Mio. – 4 Mio. EUR für einen Standort.
Empfehlung: Wir regen wir an, auch verbundene Unternehmen in die Basisgruppe aufzunehmen bzw. den Kreis der Berechtigten auf die einzelnen Standorte der verbundenen Unternehmen zu erweitern. Die Grundlage sollte der Letztverbraucher darstellen. Über Nachweisregelungen kann der Missbrauch ausgeschlossen werden.
4. Vorbehalt der Rückforderung begrenzen und spezifizieren
Nach beiden Gesetzesentwürfen ist der Entlastungsbetrag unter dem Vorbehalt der Rückforderung zu gewähren, wobei der Vorbehalt erst mit der Wertstellung des Ausgleichs der Jahresendabrechnung für das Kalenderjahr 2023 erfüllt sein soll. Dieser Vorbehalt zwingt die Unternehmen zu Rückstellungen, womit sie letztlich nicht entlastet werden und keine Planungssicherheit erhalten. Beides widerspricht der eigentlichen Zielstellung der Entlastungsregelungen als schnelle Krisenhilfe.
Empfehlung: Da Strom- und Gaspreisebremse eine schnelle wirkende Krisenbeihilfe sein sollen, sollte auf die Rückzahlungspflicht möglichst vollständig verzichtet werden. Mindestens aber sollte klargestellt werden, dass eine Rückzahlungspflicht im Falle einer Überschreitung der Höchstgrenzen nur in dem Maße der Überschreitung gilt und nicht automatisch eine Rückzahlung der vollständigen Entlastungssumme bedeutet. In der Gruppe mit einer Entlastung bis 2 Mio. € sollten Rückzahlungsverpflichtungen immer ausgeschlossen sein.
5. Ein Recht auf Ablehnung der Entlastungen einfügen
Es gibt Unternehmen, die die Entlastung nicht in Anspruch nehmen wollen. Nach dem Wortlaut der Gesetzentwürfe ist unklar, ob die Entlastungen automatisiert erfolgen oder ob Unternehmen diese auch ablehnen können. Diese Option ist wichtig, damit die Unternehmen keine Mitteilungspflichten erfüllen müssen, die bußgeldbewehrt sind oder sich möglichen Rückforderungsansprüchen aussetzen.
Empfehlung: Ein Recht auf Ablehnung der Entlastungen in den Gesetzeswortlaut einfügen. Dieses sollte durch eine einfache Mitteilung in Textform ausgeübt werden können.
6. Mitteilungs-, Antrags- und Nachweispflichten reduzieren
Die Gesetzentwürfe enthalten zahlreiche Mitteilungs-, Antrags- und Nachweispflichten. Hier wird massiv Bürokratie aufgebaut und dies sehr umfangreich und komplex. Zudem wird die Entlastung in vielen Gruppen von einer vorherigen behördlichen Genehmigung abhängig gemacht. Die Liquidität dieser Unternehmen wird so erheblich belastet, bis die Hilfe wirkt. Viele Unternehmen werden den bürokratischen Aufwand nur mit Unterstützung durch externe Beratung meistern können. Es werden also vermehrt Ressourcen zur Bewältigung von Bürokratie notwendig.
Empfehlung: Die behördliche Genehmigung sollte zusammen mit weiteren TCF-Vorgaben entfallen, mindestens aber andernfalls nachlaufend erfolgen, nicht aber Voraussetzung für den Beginn der Hilfe sein. Hinweispflichten und Antragsprozess sollten so einfach wie möglich gestaltet werden. Konkret sollten Nachweispflichten auf ein absolut notwendiges Minimum reduziert werden. Das Gleiche gilt für das förmliche Antragsverfahren. Auch dieses sollte auf ein absolutes Minimum reduziert werden. Im Grundsatz sollten einfache Meldungen an die Energieversorger zur Nachweisführung ausreichen.
7. Referenzzeitraum für die Entlastungen flexibilisieren
Der Referenzverbrauch für die Entlastungen ist grundsätzlich das Kalenderjahr 2021. Das kann problematisch sein, wenn in 2021 Verbräuche z.B. aufgrund von Überflutungen oder Corona-Maßnahmen reduziert wurden. Außerdem können Geschäftsjahre von Unternehmen vom Kalenderjahr abweichen.
Empfehlung: In begründeten Fällen sollten die Unternehmen die Möglichkeit haben, das Referenzjahr aus mehreren möglichen Jahren (2019, 2020 oder 2021) bzw. das zugehörige Geschäftsjahr auszuwählen.
8. Schwelle für Arbeitsplatzerhaltungspflicht erhöhen
Entlastungen von mehr als 2 Millionen Euro werden an eine Arbeitsplatzerhaltungspflicht der Unternehmen geknüpft. Beides bindet wiederum Ressourcen der Unternehmen. Zudem weiß ein Unternehmen heute noch nicht, ob es 2024 auch mit einer Entlastung noch am Markt überlebensfähig sein wird. Der aktuell formulierte pauschale Arbeitsplatzerhalt von 90 Prozent, ohne Berücksichtigung betrieblicher Einzelfälle ist völlig unpraktikabel und nicht umsetzbar. Beendigungstatbestände wie z.B. Änderungskündigungen, verhaltens- oder personenbedingte Kündigungen sowie Aufhebungsverträge werden nicht berücksichtigt. Nach der jetzigen Ausgestaltung wäre sogar zweifelhaft, ob eine Regelung aufgrund einer Betriebsvereinbarung rechtlich umsetzbar wäre. Die Anwendung von § 77 Abs. 3 BetrVG müsste also ggf. ausgeschlossen werden. Zudem ist eine Arbeitsplatzerhaltungspflicht nach europäischem Beihilfenrecht nicht vorgegeben.
Empfehlung: Die Arbeitspflichterhaltungspflicht ist zu streichen oder es ist zumindest die Schwelle, ab der eine solche Pflicht gilt, auf mehr als 4 Millionen hoch gesetzt werden.
9. Klarstellung, dass Kundenanlagen nicht von Entlastung ausgeschlossen werden
Nach § 3 Absatz 5 Gaspreisbremse und § 4 Abs. 5 Strompreisbremse dürfen Unternehmen keine Entlastung nach den entsprechenden Paragraphen in Anspruch nehmen für Entnahmestellen, die der Erzeugung, Umwandlung oder Verteilung von Energie dienen, sofern die Entlastungssumme des Unternehmens über 2 Millionen Euro liegt. Diese Formulierung ist hoch missverständlich und kann zum Ausschluss von Kundenanlagen führen, da sehr viele Unternehmen Strom erzeugen, Energie umwandeln und/oder einen Teil ihrer bezogenen oder erzeugten Energiemengen an Dritte leiten.
Empfehlung: Klarstellung, dass der Ausschluss nur gilt, wenn der Schwerpunkt eines Unternehmens in der Erzeugung, Umwandlung oder Verteilung von Energie liegt, also ein Unternehmen der Energiewirtschaft ist.
10. Klarstellung, dass Betreiber von KWK-Anlagen in der Kundenanlage nicht zwischen Eigen- und Drittverbrauch differenzieren müssen
In § 10 der Gaspreisbremse wird für KWK-Anlagen von der Entlastung ausgeschlossen die KWK-Nutzwärmeerzeugung, die an Dritte veräußert wird und ebenso die KWK-Nettostromerzeugung, die an Dritte veräußert wird. Dies bedeutet zunächst einen hohen Abgrenzungsaufwand für die Betreiber von KWK-Anlagen und zum anderen, dass die Hinterlieger, also die Dritten in einer Kundenanlage nicht entlastet werden.
Empfehlung: Diese Differenzierung sollte aufgehoben und die gesamte Gasmenge, die in einer KWK-Anlage eingesetzt wird, in die Entlastung aufgenommen werden. Verbunden werden kann dies mit der Verpflichtung für den KWK-Anlagenbetreiber, die erhaltene Entlastung an seine Dritten weiterzugeben.
11. Zugang der Unternehmen zu Gas- und Stromversorgungsverträgen sicherstellen
Derzeit haben viele Unternehmen, deren bestehende Versorgungsverträge zum Ende des Jahres 2022 auslaufen, Schwierigkeiten einen Versorgungsvertrag für 2023 zu bekommen. Energieversorger drohen bei fehlendem Versorgungsvertrag bereits mit einer Trennung der Versorgungsanschlüsse ab 1. Januar 2023.
Empfehlung: Gewährleistung der Versorgung mit Energie auch für letztverbrauchende Unternehmen. Dieser Anspruch auf Ersatzversorgung sollte unabhängig von der Spannungsebene oder der Druckstufe gewährt werden. Inhalt wäre die Verpflichtung der Versorger, Strom oder Gas am Spotmarkt als Mittler einzukaufen und die entsprechenden Mengen zum Spotmarkt Preis plus einer sachgerechten Marge an die letztverbrauchenden Unternehmen weiterzugeben. Um die Liquidität der Versorger zu erhöhen und Liquiditäts- und Bonitätsrisiken aller Marktteilnehmer abzufedern, sollte eine Diskussion mit den Versorgern geführt werden, welche Finanzinstrumente hierfür in Betracht kommen.
Zum „Bündnis faire Energiewende“ zählen:
• Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie BDG, www.guss.de
• Bundesverband Keramische Industrie e. V., www.keramverbaende.de
• Bundesverband der Energieabnehmer e. V., www.vea.de
• Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e. V., www.textil-mode.de
• Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie e. V., www.gkv.de
• wdk Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie e. V., www.wdk.de
• WSM Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e. V., www.wsm-net.de
• Deutsche Feuerfest-Industrie e. V., www.dffi.de
• Industrieverband Feuerverzinken e. V., www.feuerferzinken.com
Die Verbände im „Bündnis faire Energiewende“ vertreten branchenübergreifend mehr als 10 000 deutsche Unternehmen mit ca. einer Million Beschäftigten und etwa 200 Milliarden Euro Jahresumsatz.
Der Querschnittsverband Bundesverband der Energieabnehmer vertritt zudem etwa 4 500 Unternehmen aus allen Branchen.
Das Bündnis faire Energiewende ist unter der Registernummer R001663 im Lobbyregister des Deutschen Bundestages eingetragen. Warum die mittelständische Industrie faire Energiepreise braucht, erfahren Sie auf www.faire-energiewende.de