Klimaneutralität in Gießereien
Projekt InnoGuss
Im Übereinkommen von Paris im Jahr 2015 haben sich alle EU-Länder dazu verpflichtet, den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur auf deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Die Europäische Union möchte mit dem „Grünen Deal“ bis ins Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgase ausstoßen und damit erster klimaneutraler Kontinent werden. Deutschland plant mit dem überarbeiteten Klimaschutzgesetz sogar bereits im Jahr 2045 Treibhausgasneutralität zu erreichen, was auch die Bundesländer, z. B. Nordrhein-Westfalen, übernommen haben.1 Um mindestens 65 % sollen die Emissionen im Jahr 2030 gegenüber 1990 sinken. Wie lassen sich diese Ziele in Deutschen Gießereien erreichen?
Mehrere Gießereien haben seit dem Jahr 2020 damit geworben, dass sie klimaneutral arbeiten, z. B. Zinkdruckgießerei Föhl, Eisengießerei Lößnitz oder Friedrich Lohmann Stahlgießerei. Bereits im Jahr 2011 hat sich das IfG mit dem Thema CO2-neutraler Energieversorgung und den Potenzialen von Kompensationsmaßnahmen beschäftigt. Dabei wurde schon damals vor dem Begriff „Klimaneutralität“ gewarnt, da mittlerweile Unternehmen wegen „Greenwashing“ sogar abgemahnt werden. Grund ist die Erreichung der Klimaneutralität nicht durch Minderungsmaßnahmen, sondern nur durch den Kauf von Ausgleichszertifikaten. Wichtig ist es im ersten Schritt die direkten, indirekten und sonstigen Emissionen zu ermitteln (Scope 1, 2 und 3). Es besteht ansonsten die Gefahr, dass sich Gießereien „CO2-Neutral“ bezeichnen, allerdings Scope 3-Emissionen gar nicht betrachtet wurden..
Um ein einheitliches Verständnis für die Gießerei-Industrie zu schaffen, wurde im Haus der Gießerei-Industrie ein CO2-Leitfaden erarbeitet. Im Leitfaden werden wichtige Normen zur Bilanzierung aufgelistet, Grundlagen, z. B. die Unterscheidung des Corporate Carbon Footprints und des Product Carbon Footprints, vermittelt und die gießereispezifischen Scopes erklärt sowie relevante Emissionsfaktoren für Gießereien aufgelistet.
Corporate Carbon Footprint | Product Carbon Footprint |
BS PAS 2060:2014 | BS PAS 2050:2011 |
ISO/TR 14069:2013 | DIN EN ISO 14067:2019 |
DIN EN ISO 14064-1:2019 | DIN EN ISO 14040:2021 |
Aktuell ist eine Verifizierung der Klimaneutralität nach den zuvor genannten britischen Standards möglich. Zukünftig wird es mit der ISO-Norm 14068 einen weltweiten Standard zur Klimaneutralität („Carbon Neutrality“) geben.
In Gießereibetrieben gibt es sowohl am Schmelzbetrieb, an den Abkühlstrecken als auch in der Wärmebehandlung oder an den Druckluftkompressoren erhebliche Abwärmepotenziale, die in anderen Produktionsbereichen genutzt werden können. Solarthermie kann in abgelegenen Sanitärbereichen zur Anwendung kommen. Erste Potenziale von Erneuerbaren Energien wurden im Projekt „ErneuerbareEnergienGießerei“ erarbeitet. Grundsätzlich sollten Gießereien prüfen, ob eine Eigenstromerzeugung mit Photovoltaik-Aufdach- oder -Freiflächenanlagen oder die Beteiligung an benachbarten Wasserkraftwerken und Windkraftanlagen möglich ist. Ferner könnte auch ein Blockheizkraftwerk ökonomisch und ökologisch vorteilhaft sein, wenn es Prozesse zur Abnahme der Wärme speziell im Sommer gibt, um die hohen Gesamtwirkungsgrade auszunutzen. Denkbar ist auch eine Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung, um z. B. den Formstoffkreislauf zu kühlen, oder bestimmte Betriebsbereiche zu klimatisieren. Erste Gießereien haben auch schon Erfahrungen mit oberflächennahen Geothermie-Anlagen zur Beheizung und Kühlung gesammelt. Für bereits umfangreich elektrifizierte Gießereien besteht die Möglichkeit zum Zukauf von Ökostrom, d. h. zusätzlich zur physischen Stromlieferung wird auch ein Herkunftsnachweis ausgestellt. In einer strengeren Definition von Ökostrom wird neben dem Herkunftsnachweis, z. B. durch das Grüne Strom Label oder das ok-power Siegel, auch darauf geachtet, dass es einen Zusatznutzen gibt, also üblicherweise über einen Beitrag, z. B. von einem Cent pro kWh, der Zubau von Erneuerbaren Energien Anlagen gefördert wird. Eine weitere Möglichkeit stellen Power Purchase Agreements (PPAs) dar, die einen direkten oder bilanziellen Strombezug von Erneuerbaren-Energien-Anlagen erlauben.
Gießereien mit hohem Erdgasbedarf können auf Bioerdgas/Biomethan wechseln, welches aus biogenen Stoffen erzeugt wird. Üblicherweise wird bilanziell jedoch nur etwa 10 % regeneratives Bioerdgas aus biogenen Reststoffen dem Erdgasbezug hinzugefügt und ein Beitrag zum Zubau neuer Erneuerbaren-Energien-Anlagen geleistet. Aktuell gibt es in Deutschland keine größeren Elektrolyse-Kapazitäten für die Erzeugung von sogenanntem „grünen Wasserstoff“, der einen Zukauf für Gießereien ermöglichen würde.
Um den CO2-Emissionen in Deutschland ein „Preissignal“ zu geben, gibt es zwei unterschiedliche Systeme: Den nationalen Emissionshandel (nEHS) und den Europäischen Emissionshandel (EU-ETS). In Deutschland werden seit Anfang des Jahres 2021 in Gießereien verwendete Energieträger, wie z. B. Erdgas, Heizöl, Diesel, Flüssiggas und Benzin über den nEHS bepreist. Ab dem Jahr 2023 kommt auch Gießereikoks hinzu. Die jährlichen Festpreise im nEHS sind der folgenden Grafik zu entnehmen2:
Zentrales klimapolitisches Instrument in den EU-Mitgliedsländern und sogar darüber hinaus ist der EU-ETS. Im Rahmen des Systems wurde ein maximaler Ausstoß von Treibhausgasen definiert, der schrittweise reduziert wird. Durch diese Verknappung wird ein Preissignal erzeugt, dass dazu anregt, emissionsintensive Verfahren effizienter zu gestalten und Innovationen hin zu klimafreundlicheren Verfahren anzuregen. Die Kosten pro Zertifikat ergeben sich aus Angebot und Nachfrage. Seit März 2018 sind die Preise pro Tonne CO2 von 10 Euro auf teilweise fast 100 Euro im Jahr 2022 gestiegen.
Die grundsätzliche Vorgehensweise auf dem Weg zur CO2-Neutralität lautet Vermeidung vor Verminderung vor Kompensation, d. h. im ersten Schritt können in Gießereien Emissionen vermieden werden, z. B. durch Substitution von Energieträgern, Verbesserung der Ausbringung, Vermeidung unnötiger Warmhaltezeiten des Flüssigmetalls oder durch Reduzierung des Ausschusses. Im zweiten Schritt können Emissionen im Gießprozess reduziert werden. Bei der Dokumentation und Bewertung helfen die etablierten integrierten Managementsysteme in Gießereien, also z. B. Umwelt- und Energiemanage-mentsysteme nach EMAS, DIN EN ISO 14001:2015 und DIN EN ISO 50001:2018. Im Verbleidende Emissionen können dann im Rahmen einer freiwilligen Kompensation ausgeglichen werden (Carbon Offsetting).3 Es gibt mehrere Möglichkeiten, Treibhausgasemissionen auszugleichen, z. B. durch Emissionsminderungs-gutschriften oder durch das Löschen von Berechtigungen im EU-ETS. In der dritten Handelsperiode des EU-ETS war das Einlösen von Zertifikaten aus Klimaschutzprojekten nach dem Clean Development Mechanism (CDM) erlaubt, was aber ab dem Jahr 2021 mit dem Start der vierten Handelsperiode nicht mehr möglich ist. Es ist daher möglich zum aktuellen Zertifikatepreis eine Löschung eines Emissionszertifikats zu erreichen, wodurch eine zusätzliche Emissionsreduktion innerhalb des EU-ETS erzielt wird. Dies ist aktuell wohl eine der kostenintensivsten Möglichkeiten, um verbleibende Emissionen zu kompensieren.
Im Bereich der freiwilligen Kompensation gibt es etablierte Anbieter, die auf einen Zusatznutzen der Projekte achten. Projektentwickler müssen nachweisen, dass eine Doppelzählung von Emissionsreduktionen verhindert wird. Darüber hinaus kann die Sicherstellung der Zusätzlichkeit des Projekts, die Dauerhaftigkeit, z. B. keine Schnellaufforstungen in Monokulturen oder die Beachtung von lokalen und sozialen Belangen, gehören. CDM-Projekte können weiterhin für die freiwillige Kompensation genutzt werden oder alternativ bekannte Programme sind der Voluntary Carbon Standard (VCS) oder der Gold Standard. Weitere bekannte Instrumente zur Aufforstung und für Waldschutzmaßnahmen sind der Natural Forest Standard (NFS) sowie REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation and the role of conservation, sustainable management of forests and enhancement of forest carbon stocks in developing countries). Zahlreiche Beratungsunternehmen unterstützen bei der Auswahl von freiwilligen Kompensationsmaßnahmen.
1 Große internationale Unternehmen wie Microsoft gehen sogar einen Schritt weiter und wollen bis ins Jahr 2030 CO2-negativ sein und bis ins Jahr 2050 den gesamten Kohlenstoff aus der Atmosphäre entfernen, den das Unternehmen seit seiner Gründung im Jahr 1975 entweder direkt oder durch seinen Stromverbrauch emittiert hat.
2 www.dehst.de/DE/Nationaler-Emissionshandel/nEHS-verstehen/nehs-verstehen_node.html;jsessionid=D8622AADAE2418889DA8C20652620B4A.2_cid321
3 www.dehst.de/DE/Klimaschutzprojekte-Seeverkehr/Freiwillige-Kompensation/freiwillige-kompensation_node.html