Gießereien durch Energie- und Rohstoffpreise mit dem Rücken an der Wand

Pressemitteilung zu den Auswirkungen der Russlandsanktionen auf die deutsche Gießerei-Industrie

 

22. März 2022

Der Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie e.V. (BDG) verurteilt den Angriffskrieg auf die Ukraine auf das Schärfste und begrüßt die Sanktionen gegen Russland. Ergänzend betont der Branchenverband den Ernst der Lage und fordert die Politik und die Kunden zum Handeln auf, um den Erhalt der Wertschöpfungskette am Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern. Die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland belasten Gießereien in einem noch nie da gewesenen Ausmaß. Sie sind für den gesamten Industriezweig in Deutschland wirtschaftlich existenzbedrohend.
 

Die wirtschaftliche Situation der Gießereien in Deutschland ist mehr als dramatisch. Nachdem die Corona-Pandemie die Branche stark gebeutelt hat, folgt statt der angedeuteten Erholung nun die nächste große Krise. Die Auftrags-   bücher der Betriebe füllen sich wieder, doch trotzdem müssen einige Unter-  nehmen fürchten aufgrund der Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland in die Insolvenz zu rutschen. Die Ursachen dafür kommen von zwei Seiten. Auf der einen stehen die Energiepreise: Noch gibt es keine spürbare Knappheit in Deutschland, dennoch steigen die Preise weiterhin in schwindelerregende Höhen. Auf der anderen Seite stehen die Beschaffungskosten: Wichtige Rohstoffe, wie Aluminium, Nickel, Zink, Magnesium und metallische Einsatzstoffe kommen aus dem Ausland und werden aktuell zu schwer kalkulierbaren Höchstpreisen verkauft. Besonders dramatisch ist die Situation bei Roheisen: Ca. 25 Prozent des in deutschen Gießereien eingesetzten Roheisens stammt aus Russland. Diese Lieferungen fallen nun weg und können nicht ohne weiteres durch Lieferanten aus anderen Ländern ersetzt werden.

Guss wird beispielsweise zwingend für erneuerbare Energien benötigt. Ohne Gießerei-Industrie in Deutschland werden wir daher nicht weniger, sondern noch stärker auf ausländische Lieferanten angewiesen sein. Nur das wir bei  diesen keinen Einfluss auf den CO2-Fußabdruck, Arbeitssicherheit und andere Faktoren haben. Der BDG benötigt daher Unterstützung sowohl von der Politik als auch von den Kunden der Branche. Die energieintensiven Betriebe sind auf wettbewerbsfähige Energiepreise angewiesen. Es muss zwingend ein entsprechender Industriestrompreis eingeführt werden, der die Unternehmen entlastet und ihnen Handlungsspielraum ermöglicht. Gleiches gilt für Gaspreise. Hier muss eine spürbare Entlastung geschaffen und auf weitere Verteuerung verzichtet werden. Zudem fordert der BDG die Politik auf, sich bereits jetzt mit der Entwicklung langfristiger Lösungen zu beschäftigen und steht für Beratungs- und Vermittlungsgespräche zur Verfügung. Von den Abnehmern fordert der Industrieverband die Beschaffungssituation mit den zuliefernden Gießereien zu diskutieren und die wirtschaftlichen Risiken gemeinsam zu tragen.

Zum Hintergrund

Energiepreise

Ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg sind die Energiepreise in  Deutschland und Europa auf ein noch nie da gewesenes Höchstmaß angestiegen. Aber bereits davor war ein dramatischer Anstieg zu verzeichnen. Seit Herbst 2021 befinden sich die Energiemärkte in Deutschland und Europa im Ausnahmezustand. Für die energieintensive Gießerei-Industrie spielt dieser Faktor eine große Rolle, um wettbewerbsfähig zu sein. Die enorme Preisentwicklung bedroht die Existenz der gesamten Branche am Wirtschaftsstandort Deutschland.

Die deutsche Gießerei-Industrie ist zwingend auf kurzfristige Lösungen aus der Politik angewiesen. Gleichzeitig braucht es mittel- und langfristige Lösungen, um den Unternehmen Sicherheit zu bieten und Investitionen in die Transformation zu ermöglichen. Daher hat der BDG gemeinsam mit den Partnern aus dem Bündnis faire Energiewende einen Fünf-Punkte-Plan zur Sicherung des industriellen Mittelstands in Deutschland herausgegeben. Dieser enthält die folgenden Maßnahmenforderungen:

  • Härtefall-Regelung schaffen: Um Insolvenzrisiken und akute Liquiditätsengpässe zu mindern, sollten schnell geeignete Soforthilfen – etwa in Form von Zuschüssen oder KfW-Krediten – für betroffene Unternehmen bereitgestellt werden.
  • Dialogprozess beginnen: Die Bundesregierung sollte kurzfristig mit der Wirtschaft in einen Dialog treten, um konkrete weitergehende Maßnahmen zu erörtern. Die jetzt dringend einzuführenden Maßnahmen sollten nicht hinter den Maßnahmen anderer EU-Mitgliedstaaten zurückbleiben. Das Instrumentarium der EU-Kommunikation „REPowerEU“ sollte umgehend vollumfänglich ausgeschöpft werden.
  • Staatlich induzierte Belastungen aussetzen: Die Gas- und Strompreise werden in Deutschland durch Abgaben, Umlagen und Steuern erheblich verteuert und sind dadurch bereits seit langer Zeit nicht mehr international wettbewerbsfähig. Angesichts der aktuellen Dramatik sollten alle staatlichen Belastungen der Energiepreise mindestens bis Ende 2022 vollständig ausgesetzt werden. Zudem sollte zumindest ein Teil der Netznutzungsentgelte aus dem Bundeshaushalt finanziert werden.
  • Industriestrom und -gaspreis prüfen und schnellstmöglich einführen: Die Turbulenzen an den Energiemärkten in Europa führen dazu, dass Unternehmen die Planbarkeit ihrer Energiekosten fehlt und das Preisniveau nicht mehr tragbar ist. Deshalb muss dringend ein fixer Industriestrom- und -gaspreis geprüft und eingeführt werden.
  • Unternehmen, die aufgrund der aktuellen Situation als Unternehmen in Schwierigkeiten (UiS) eingestuft werden, sollten unabhängig von dieser Einstufung weiterhin die Entlastungstatbestände im Energiebereich in Anspruch nehmen können.


Rohstoffe

Ausgelöst durch den kriegerischen Angriff Russlands auf die Ukraine und die daraus resultierenden Sanktionen gelten für viele Einsatzstoffe, die weltweit zugekauft werden derzeit Höchstpreise. Dazu zählen für die Gießerei-Industrie wichtige Rohstoffe wie Aluminium, Nickel, Zink, Magnesium und metallische Einsatzstoffe. Viele bestehende Rahmenverträge zur Lieferung von Materialien sind ausgesetzt. Die Angebotsbindung besteht zunehmend nur noch aus wenigen Stunden oder sogar Minuten.

Besonders dramatisch ist derzeit die Situation für die Eisen- und Stahlgießereien beim Gießereiroheisen. Das in deutschen Gießereien eingesetzte Roheisen stammt zu ca. 25 Prozent aus Russland. Diese Lieferungen brechen nun plötzlich und vollumfänglich weg. Jeder Versuch, das fehlende Roheisen durch andere Quellen weltweit zu ersetzen, zeigt, wie stark Angebot und Nachfrage bisher ausgeglichen waren. Es fehlt schlichtweg an lieferfähigen Alternativen. Letztlich gipfelt der weltweite Engpass, bisher in einer Verdoppelung bis fast einer Verdreifachung des Roheisenpreises. Ein Ende der Preissteigerungen ist noch nicht absehbar, schlimmer noch: auch Schrott wird in diesem Zusammenhang deutlich knapper und damit teurer werden. Aktuell verteuert sich Schrott um nahezu 100% auf Jahresbasis. Teilweise gibt es überhaupt keine Lieferzusagen mehr. Das dringend benötigte Material fehlt.

Die russische Invasion der Ukraine führt auch zu erheblichen Störungen in der weltweiten Logistik. Hunderte von Schiffen sitzen in den Häfen fest, Ladungen müssen umgeleitet werden, und die Frachtraten schnellen nach oben. Limitiert sind auch die LKW-Frachtfahrten. Hier fehlt es jetzt an Personal, so dass sich Lieferungen verzögern oder komplett entfallen. Darüber hinaus verteuern die immens gestiegenen Dieselpreise den Frachtkilometer deutlich.

Neben diesen Materialengpässe kämpfen die Gießereien mit steigenden Energiekosten, fehlendem Personal und Materialkostensteigerungen, die andere Ursachen haben. Aufgrund der geringen durchschnittlichen Umsatz- renditen in der Branche führen die umfassenden Kostenbelastungen teilweise zu Überlegungen, die Produktion erheblich einzuschränken oder sogar ganz stillzulegen.

Bei vielen Rohstoffen und Einsatzmaterialien wird der Beschaffungsengpass nicht von kurzer Dauer sein und ausgleichende Effekte werden nicht zum Tragen kommen. Einerseits werden Angebotsengpässe, die durch den Lieferausfall

Russlands zustande gekommen sind, nicht dadurch entspannt, dass sich diese Quelle in absehbarer Zukunft wieder öffnet. So wird es auf lange Zeit nicht mehr möglich sein, Rohstoffe aus Russland zu beziehen. Andererseits werden die verbleibenden Marktteilnehmer in einigen Bereichen nicht in der Lage sein, durch kurzfristige Produktionsanpassungen die veränderte Nachfragesituation zu bedienen.

Die Lage für die Gießereien ist fatal: Die wirtschaftlichen Folgen bei bestehenden Verträgen mit den Kunden sind für die Gießereien verheerend. Die Einkaufsentscheidungen der Gießereien basieren zurzeit in großem Maß auf Spekulationen. Daher ist es besonders wichtig, dass die Kunden-Lieferanten-Beziehungen eine neue Qualität bekommen. Es ist dringend erforderlich, dass sich Gießer und ihre Kunden an einen Tisch setzen und die zukünftigen Beschaffungssituation der Gießerei gemeinsam diskutieren und gemeinsam die wirtschaftlichen Risken tragen. Und zwar weit über bereits bestehende Materialpreisanpassungsklauseln hinaus. In vielen Fällen wird es notwendig werden, dass sich   Gießereien und Abnehmer produkt-, auftrags- und sogar chargenbezogen eng abstimmen.

Diese Vorgehensweise sollte das Verständnis der Situationen untereinander fördern, am wichtigsten ist aber die Sicherstellung der Überlebensfähigkeit der Deutschen Gießerei-Industrie und damit der Erhalt der kompletten Wertschöpfungskette am Standort Deutschland.

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